Doch dann stolperte er über einen Stein und griff mit seiner rechten Hand in den Dreck. Mit einer ruckartigen Bewegung stieß er sich wieder auf und sprintete weiter. Niemals würde man ihn erwischen, niemals.
Mit einem großen Satz sprang er über den Stamm eines gefällten Baumes. Hinter ihm konnte er Schritte hören. War er ihm doch so dicht auf den Versen? Ein paar Meter weiter wollte er sich in einem Busch verstecken, doch er bemerkte nicht die Dornen und blieb mit seiner Jacke an dem Gestrüpp hängen. Er riss sich los und seine Jacke verlor dabei einen großen Stofffetzen. Die Unmengen an Blättern auf dem Boden machten das Laufen schwer und er bemerkte, dass seine Beine langsam müde wurden.
In der Ferne stand ein überdachter Hochsitz, in dem er sich verstecken und ausruhen wollte. Dort würde man ihn sicher nicht vermuten. Sein rechtes Knie schmerzte schon vom Rennen. Gleich hatte er es geschafft, nur noch ein paar Meter.
Er kletterte die Leiter hinauf und duckte sich, damit man ihn von außen nicht sehen konnte. Einmal kurz durchatmen und abwarten. Sobald die Luft wieder rein ist, könnte er wieder nach Hause und wäre in Sicherheit. Ja, in Sicherheit.
Er lugte vorsichtig über den Rand des kleinen Fensters und erspähte den Sonnenuntergang am Horizont. Eigentlich ein schöner Abend, wenn die Situation nur nicht so unglaublich verzwickt gewesen wäre.
»Komm schon raus!«, rief plötzlich eine Stimme ganz in der Nähe. »Du kannst dich nicht ewig verstecken. Irgendwann werde ich dich finden!«
Für einen kurzen Augenblick konnte man nur das Rauschen des Windes und einige Vögel zwitschern hören. Doch plötzlich ein Rascheln. Er schaute sofort in die Richtung, aus der er das Geräusch wahrgenommen hatte, und erkannte einen Fuchs, der pfeilschnell durch die Blätter huschte.
»Hab ich dich!«, rief die Stimme erneut und er konnte hören, wie der Besitzer der Stimme dem Fuchs nacheilte. Vermutlich in der Hoffnung, er hätte das Rascheln verursacht.
Erleichtert seufzte er und setzte sich aufrecht hin, den Kopf von hinten an das weiche Holz gelehnt. Hatte er es wirklich geschafft zu entkommen? Einen kurzen Moment lang schaute er nur an die Decke des Hochsitzes, dann stand er auf und stieg die Leiter wieder hinab. Auf einmal spürte er, dass jemand hinter ihm stand und ihm an die Schulter tippte. Man hatte ihn doch erwischt. War am Ende alles umsonst? Die ganze Anstrengung?
»Reingelegt – du bist’s!«, sagte der Junge und rannte davon.

© Sebastian Noll, Dezember 2007 – Freigegeben zur Verbreitung und Vervielfältigung (mit Angabe des Urhebers)

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