Eine Kurzgeschichte von Sebastian Noll

Es war einer dieser verregneten Wochenenden, an denen man am liebsten den ganzen Tag faulenzen wollte. Ich lag vormittags in meinem Bett und schaute aus dem Fenster. Draußen prasselte der Regen auf den anliegenden Baum und das Dach des Nachbarhauses. Die Blätter des Baums flatterten im Wind. Einige Regentropfen erreichten sogar mein Fensterglas und lieferten sich ein spannendes Wettrennen bis zum unteren Fensterrahmen. Dazu das beruhigende Rauschen des Regens, das einen fast schon in einen hypnotischen Zustand befördern konnte.

Ich war schon immer ein Träumer, lag gerne in meinem Bett und dachte über die Welt nach, dachte mir Geschichten aus oder genoss einfach nur die Zeit, in der ich nichts tun musste. Es lief kein Fernsehen, kein Radio, keine Musik – ich war vollkommen alleine mit meinen Gedanken. Ich wusste von vielen, die das nicht konnten. Sie mussten Angst vor ihren eigenen Gedanken haben. Das war bei mir nicht so. Vielleicht weil ich in meinen Gedanken die volle Kontrolle über alles hatte.

Nach einiger Zeit raffte ich mich dann doch auf und ging in die Küche, um mir einen warmen Kräutertee zu kochen. Keinen Kaffee. Das Koffein würde nur die Ruhe dieses Tages stören.

Während draußen Regen und Wind tobten, brachte die Hitze langsam mein Teewasser zum Kochen. Ich goss die dampfende Flüssigkeit in meine geliebte Wochenendtasse, wo bereits ein Teebeutel darauf wartete, aufgebrüht zu werden. Ich konnte mir selbst nicht erklären, warum ich diese Tasse so gern hatte. Die aufgedruckte Giraffe lächelte mir mit ihrem selbstzufriedenen Grinsen entgegen, dass mir immer ganz warm wurde. Vielleicht war dieses Gefühl auch einfach nur angelernt. Schließlich würde gleich das warme Getränk erst meinen Mund, dann meinen Hals und zu guter Letzt meinen Magen mit wohltuendem Teegeschmack erfüllen.

Ich setzte mich mit meiner heißen Giraffentasse an den Tisch und beobachtete wieder, wie sich der Regen in Strömen vom Dach des Nachbarhauses in der Regenrille sammelte und dann das Rohr hinunter in die Kanalisation floss. Ich stellte mir vor, wo die Regenmassen am Ende wohl ankamen, wenn sie die endlos langen Kanäle unter den Straßen hinter sich gelassen hatten. Ob sie in einem Fluss landeten, im Meer oder einfach nur in einer Kläranlage, in der sie zusammen mit anderem Schmutzwasser den Reinigungsprozess durchliefen?

Ein kräuterartiger Duft zog in meine Nase. Das heiße Wasser musste nicht nur den Geschmack, sondern auch den Geruch des Teebeutels aufgenommen haben. Kleine Dampfschwaden stiegen gemächlich aus dem Teewasser auf, während ich sie versuchte mit meiner Nase einzufangen. Der Tee war noch etwas zu heiß, um ihn zu trinken, aber alleine der Geruch und der Wasserdampf sorgten schon für eine angenehme Wärme.

Mein Blick richtete sich wieder aus dem Fenster, wo ich einer Weile dem Treiben der Wolken zusah. Sie zogen in Windeseile über meinen Kopf hinweg und ließen unablässig die Regenmassen auf die Erde fallen. Wie viele Menschen wohl gerade mit vermeintlich wichtigen Dingen beschäftigt waren, während ich mich von den Naturgewalten beeindrucken ließ? Wenn sie wüssten, was sie gerade verpassten…

Ich nahm einen Schluck Tee. Das Teewasser erwärmte meinen ganzen Körper und der Geschmack der Kräutermischung wirkte zusätzlich beruhigend. Hier drinnen war es ganz anders als draußen. Der Wind peitschte den Regen, die Bäume und Sträucher umher, während ich in völliger Ruhe an meinem Fenster saß und an meinem warmen Tee nippte.

In dem Moment klingelte es an der Tür. Ob es der Paketbote war? Ich wusste nicht, wer dort klingelte, aber ich wusste, dass es nun mit der Ruhe vorbei war. Dennoch nahm ich mir vor, das nächste verregnete Wochenende ähnlich langsam anzugehen.

© Sebastian Noll, November 2018 – Freigegeben zur Verbreitung und Vervielfältigung (mit Angabe des Urhebers)

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International.