Eine Kurzgeschichte von Sebastian Noll

Was für ein Ausblick, denke ich und schaue in die Ferne. Die kilometerhohen Berge ragen am Horizont hervor. Ihre schneebedeckten Bergspitzen werden von flauschigen Wolken verdeckt, die sich dank der Windstille nicht vom Fleck bewegen. Am Fuß des Gebirges wächst ein dunkelgrüner, dichter Nadelwald, der sich ab der halben Höhe der Berge langsam in karges Gras verwandelt.

Direkt unter mir sehe ich ein beschauliches Bergstädtchen. Die Gebäude wirken von hier oben wie bei einer Modelllandschaft. Ich erkenne sogar den kleinen Kirchturm – dem mit Abstand höchsten Bauwerk des Städtchens.

»Alles in Ordnung da hinten?«, fragt der Pilot und dreht den Kopf ein Stück zur Seite.
»Alles in Ordnung«, rufe ich. »Es gibt hier oben so wahnsinnig viel zu sehen, dass ich gar nicht weiß, wo ich zuerst hinschauen soll.«

Der Propeller an der Nase der kleinen Maschine brummt konstant vor sich hin, während ich gebannt auf die flauschigen Wolken vor mir starre. Sie sehen so weich aus, dass ich am liebsten ausgestiegen und mich darauf zum Schlafen gelegt hätte. Diese Wolken müssen ein fantastisches Bett abgeben.

Doch im nächsten Moment wende ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Gebirge zu, dem wir immer näher kommen. Inzwischen kann ich sogar einzelne Bäume erkennen, die etwas aus dem Wald herauswachsen. Und etwas weiter den Berg hinauf stapft ein Schäfer seiner Herde hinterher. Selbst den kleinen Hund, der neben ihm läuft, erkenne ich von hier.

Plötzlich knallt es. Ein ohrenbetäubender Knall, der so schnell wieder verhallt, wie er gekommen ist, lässt mich aufschrecken. Rauch vernebelt meinen Blick und ich muss mir den Arm vor das Gesicht halten, damit ich nicht zu viel der giftigen Dämpfe einatme.

»Was ist los?«, rufe ich nach vorne zum Piloten, bekomme jedoch keine Antwort.
Ich befürchte das Schlimmste und versuche durch den dichten Rauch zu erkennen, was passiert ist. Meine Augen tränen und ein starker Windzug erschwert mir das Atmen zusätzlich. Ob durch den Knall ein Teil der Windschutzscheibe zerbrochen ist?

Ein Schwall Rauch schlägt mir direkt ins Gesicht. Ich muss husten, taste aber gleichzeitig am Vordersitz vorbei zum Piloten. Hoffentlich hatte es keine Explosion gegeben, die ihn verletzt hat. Ich ertaste die Schulter des Piloten und klopfe dagegen, doch keine Reaktion. Meine Hand tastet seinen Hals hinauf bis zu seinem Kopf. Der hing schlaff zur linken Schulter gerichtet. Er muss bewusstlos sein – oder noch schlimmer.

Panik steigt in mir auf. Der Pilot ist nicht bei Bewusstsein, der Motor der kleinen Propellermaschine qualmt und ich fliege orientierungslos auf einen Berg zu. Das werde ich nicht überleben, denke ich und schließe für einen kurzen Moment die Augen. Geistesgegenwärtig greife ich nach dem Funkgerät, drücke den Sprechknopf und rufe verzweifelt um Hilfe. Doch niemand antwortet.

Langsam lichten sich Qualm und Rauch, sodass ich wieder besser Luft bekomme. Ich frage mich, wie viel Zeit mir wohl noch bleibt, bis das Flugzeug an der Bergwand zerschellt. Der Blick nach vorne ist nach wie vor durch die dichten Rauchschwaden versperrt. Verzweifelt suche im engen Cockpit nach etwas, das mir weiterhelfen könnte. Aber es gibt nichts Greifbares. Ich kann nicht einmal selbst das Steuer in die Hand nehmen.

Ein Ruck geht durch die kleine Maschine. Das ist das Ende, denke ich und halte mich an den Griffen rechts und links von mir fest. Ich hoffe nur, dass es schnell vorbei ist und ich nicht lange leiden muss. Jeden Moment erwarte ich den Aufprall. Doch stattdessen spüre ich, wie sich die Fluglage der Maschine wieder stabilisiert. Das Ruckeln reduziert sich und ich blicke verdutzt nach rechts aus dem Fenster, wo der Boden langsam wieder in die Ferne rückt.

»D-ECJB, Cessna 162 an Flugsicherung, erbitte dringende Position der nächsten Landemöglichkeit«, höre ich plötzlich durch die Kopfhörer. »Ich wiederhole: Erbitte Position der nächsten Landemöglichkeit.«

»D-ECJB, Tower Neustadt, was ist los?«, schallt die Stimme eines Fremden an mein Ohr.

»Wir haben einen Motorschaden«, ruft die erste Person. »Ich wiederhole: wir haben einen Motorschaden. Pilot verletzt. Ich wiederhole: Pilot verletzt. Erbitte Position.«

»11 Kilometer nordwestlich von ihrer aktuellen Position. Halten sie so lange durch?«

»11 Kilometer nordwestlich, verstanden. Unsere Flughöhe sollte gerade ausreichen. Wir sind in wenigen Minuten da.«

»Sofortige Landeerlaubnis erteilt«, antwortet der Tower. »Kommen sie heil hier unten an!«

Ich bin ein wenig erleichtert, aber die Anspannung hält weiter an. Der Qualm lichtet sich weiter und ich erkenne den Hinterkopf des Piloten wieder. Er liegt nun nicht mehr auf seiner Schulter, sondern ist gerade nach vorne gerichtet. Ob er durch den dichten Rauch überhaupt etwas sehen kann?

Die Berge liegen in meinem Rücken. Wir entfernen uns immer weiter, während die Maschine in die entgegengesetzte Richtung fliegt. Die Flughöhe nimmt derweil weiter ab und wir kommen dem Boden näher. Der Propeller hatte bereits vor Minuten aufgehört sich zu drehen, sodass wir nun noch durch die Luft gleiten. Hoffentlich reichte die Höhe aus, um den sichern Flugplatz zu erreichen.

Mir wird wieder mulmig. Erst als ich die Landebahn unter mir erkenne, geht es mir besser. Das Flugzeug setzt zur Landung an. Ein kurzer Ruckler sagt mir, dass wir am Boden aufgekommen sind. Den Rest der Landebahn bremst das Flugzeug ab und kommt kurz darauf zum Stehen. Ein Wagen der Feuerwehr steht unweit von uns bereit und fährt uns unmittelbar entgegen. Was für ein Schreck, denke ich und schließe die Augen. Kurz darauf berühren meine Füße wieder festen Boden.

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