Eine Kurzgeschichte von Sebastian Noll

Glasige Augen und leere Blicke überall, wo man hinsieht. Die Zombies starren gebannt auf ihre mobilen Kommunikationsgeräte oder in die Luft. Kaum einer sagt ein Wort. Schon viel zu lange warten sie. Der kühle Wind dieses Herbstabends hat alle durchgefroren.

Eine Anzeigetafel leuchtet über ihren Köpfen. Sie zeigt das Ziel der Reise sowie eine Verspätung von zwanzig Minuten. Während immer mehr Zombies den schmalen Steig betreten, überschreitet die Uhr neben der Tafel Minute 21 der Verspätung. Noch immer ist nichts in Sicht, was das Warten beenden könnte.

Ein Knacken hallt über den ganzen Steig. Es folgt eine kaum verständliche Durchsage, die weitere fünf Minuten Verspätung verkündet. Einige Zombies ächzen vor Verärgerung oder Erschöpfung. Für sie wiederholt sich das Spiel bereits am dritten Tag in Folge.

Lautes Gerumpel ertönt. Auf dem gegenüberliegenden Steig kommt ein rotes Ungetüm zum Stehen. Die dort wartenden Zombies stürmen die geöffneten Tore, als wenn ihr Leben davon abhinge. Das würde gleich auch den anderen Zombies bevorstehen.

Wieder rumpelt es. Dieses Mal donnert ein größeres Ungetüm am richtigen Steig an den Zombies vorbei und kommt wenig später zum Stehen. Die Zombies drängen sich an den wenigen öffnenden Toren. An den geschlossenen Toren prangte ein Schreiben mit den Worten »Tür unbenutzbar« in unterschiedlichen Sprachen. Nicht alle Zombies können die Worte auf dem Schreiben erfassen. Sie drängen sich dennoch stöhnend vor die unbenutzbaren Tore und warten geduldig darauf, dass sie sich öffnen. Ein Trugschluss, der sich schon bald in erneute Verärgerung resultieren würde.

Aus den geöffneten Toren drängen zudem noch Zombies nach draußen. Auch sie haben sich lange für diesen Moment gequält, um endlich in Freiheit zu kommen. Doch zunächst müssen sie an den hereindrängen Zombies vorbei. Die beiden entgegengesetzten Zombieströme erinnern ein wenig an kaltes und warmes Wasser, das in einem Meer aufeinandertrifft, sich verwirbelt und hohe Wellen schlägt. Ein wundersames, aber auch beängstigendes Schauspiel, das mehrere Minuten andauert, bis sich schließlich das Gedränge vor den Ein- beziehungsweise Ausgängen auflöst.

Die Tore schließen sich. Im Inneren ist es angenehm warm, aber stickig. Das Atmen fällt schwer und die Zombiehorden quetschen sich im Eingangsbereich dicht aneinander. Zwar gibt es weiter im Inneren noch ausreichend Platz, aber die Zombies lieben scheinbar die Nähe zum Nächsten. Nichts bringt sie dazu, die Räumlichkeiten gänzlich auszunutzen.

Eine kaum hörbare Durchsage hallt durch das Innere des Ungetüms: »Bitte die Türen freigeben, sonst können wir nicht weiterfahren. Danke!«

Die unverständliche Stimme der Durchsage klingt zermürbt und gleichzeitig gereizt. Auf die Zombies hat die Aufforderung dagegen keine Wirkung. Von ihnen rührt sich niemand, haben es vermutlich nicht einmal registriert. Dennoch setzt sich das Ungetüm wenig später in Bewegung.

Die zahlreichen Fenster bieten einen fantastischen Ausblick in die Dunkelheit des Herbstabends. Winzige Tröpfchen lassen darauf schließen, dass es zu Regnen beginnt. Sie tanzen im Fahrtwind, während sie sich gemächlich an der glatten Fensterscheibe Richtung Boden bewegen. Man könnte meinen, die Tröpfchen veranstalten ein Wettrennen, wer als Erster den unteren Rand des Fensters erreicht.

Von den Zombies bekommt das aber niemand mit. Sie starren weiterhin gebannt Löcher in die Luft oder auf die leuchtenden Anzeigen ihrer Kommunikationsgeräte, die sie in den Händen halten.

Rauschende, unmelodische Töne erfüllen den engen Eingangsbereich. Sie stammen aus den Ohren eines Zombies, der diese Art der musikalischen Untermalung unmittelbar in sein Ohr schallen lässt. Zweifelsohne würde dieser Zombie durch die Beschallung eine Schädigung des Gehörganges erleiden. Dies scheint ihn aber wenig zu stören. Stattdessen blickt er auf das leuchtende, eckige Gerät, das er sich nur wenige Zentimeter vor das Gesicht hält.

Die Fahrt des Ungetüms verlangsamt sich, bis es schließlich ganz zum Stehen kommt. Eine Art Stille breitet sich aus. Obwohl das musikalische Rauschen weiterhin zu vernehmen ist und der Wind mit lautem Getöse den Regen gegen die Fenster klatschen lässt, erfüllt den Eingangsbereich eine seltsam leere Stille. Die bisher schon stickige Luft kommt nun vollständig zum Erliegen. Bei jedem Atemzug durchströmt die Lungen der Zombies weniger Sauerstoff.

Wieder knackt es und eine wenig verständliche Durchsage durchbricht die kaum auszuhaltende Stille: »Aufgrund einer Zugüberholung verzögert sich unsere Weiterfahrt um wenige Minuten. Wir bitten um Verständnis.«

Das geräuschlose Raunen, das die Zombiehorde durchzog, ist zwar nicht zu hören, aber eindeutig zu spüren. Ihr Ausdruck ist leer und kraftlos, als wenn sie diese Tortur nicht zum ersten Mal durchleben. Sie scheinen ihr Schicksal einfach hinzunehmen, sich nicht zur Wehr zusetzen.

Ein besonders fleischiger Zombie vereinnahmt den meisten Raum im Eingangsbereich. Er ist zwischen zwei kleineren Zombies eingequetscht, die gequält den Fußboden betrachten. Der beißende Geruch, den der fleischige Zombie absondert, durchdringt die Nasen, setzt sich tief in den Geruchsrezeptoren fest. Kaum zu glauben, dass die anderen Zombies durch die Reizflutung des Riechorgans sich nicht schon längst übergeben haben.

Plötzlich wird es unruhig. Ein schmächtiger Zombie quetscht sich durch die Massen. Offenbar will er zum anderen Ende Abschnitts. Dort befindet sich eine Einrichtung zur Entsorgung von Ausscheidungen, die Zombies magisch anzieht. Einfach zu erreichen ist dieses Ziel jedoch nicht. Dazwischen befand sich auch der fleischige Zombie, der die beiden Kleineren mittlerweile vereinnahmt und für sich beansprucht hat. Sie kommen aus dem fettigen Gefängnis vermutlich nicht mehr frei. Trotzdem schafft es der schmächtige Zombie, sich bis zu seinem Ziel durchzukämpfen.

Kurz darauf setzt sich das rote Ungetüm wieder in Bewegung. Ganz langsam geht es nun vorwärts, während der Regen ununterbrochen vom Wind gegen die Fensterscheiben gepeitscht wird. Eine Art Erleichterung breitet sich aus. Vorbei ist dieser Höllentrip jedoch nicht. Am nächsten Zwischenstopp wird sich das ganze Prozedere wiederholen, ebenso wie an dem übernächsten Halt und das Tag für Tag für Tag. Wer sich das länger antut, der verwandelt sich unweigerlich auch zum Pendlerzombie.

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